Generative Führung

Das inspirierende Buch “Tennis - Das innere Spiel” von Timothy Gallwey, das 1974 erschien, brachte das Coaching weit über den Sport hinaus und erreichte ein breites Publikum. Damit ebnete es den Weg für das rapide Wachstum der Coaching-Industrie, die besonders in den 1990er Jahren an Schwung gewann. Coaches wie Tony Robbins und Marshall Goldsmith wurden bekannt und halfen vielen Menschen, ihr Potenzial zu entfalten und Erfolg zu finden.
Die Essenz des Coachings findet sich jedoch schon in den klassischen philosophischen Texten. Bereits in den Dialogen von Platon, einem der bedeutendsten Philosophen der Antike, taucht diese Idee immer wieder auf. Besonders in seinen sokratischen Dialogen rückt das Motto “Erkenne dich selbst” (oder auch werde dir deiner selbst bewusst) ins Zentrum der menschlichen Entwicklung. Diese Verbindung zeigt, dass das Prinzip der Selbsterkenntnis schon in der antiken Philosophie eine zentrale Rolle spielte. Dieses Thema erscheint sogar in modernen Filmen wie The Matrix (1999) erneut.
Die Wurzeln des modernen Coachings liegen jedoch vor allem im Human-Potential-Movement der 1950er und 1960er Jahre. Damals stellte man sich vermehrt die Frage, wie Menschen ein erfülltes und sinnvolles Leben führen können. Der Fokus verschob sich dabei von der bloßen Problemlösung hin zur Verbesserung des Lebens.
Seitdem hat sich Coaching als eigenständiger Beruf etabliert und ergänzt Managing, Training/Teaching, Leading sowie andere Unterstützungsformen. Während all diese Ansätze durch unterschiedliche Gespräche mit verschiedenen Zielsetzungen geprägt sind, zeichnet sich Coaching durch eine besondere Gesprächsform aus: Der Coach begleitet den Coachee dabei, seine Ziele nachhaltig zu erreichen.
Ob im Sport, in der Wirtschaft oder im Leben – sobald das Ziel ist, zu gewinnen, kann Coaching eine wertvolle Hilfe sein.
Vor allem in der heutigen Geschäftswelt die von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit (VUCA) geprägt ist ist diese Art von Gespräch von besonderer Bedeutung. Viele Studien, etwa von Forbes, der MIT Sloan Management Review und dem Korn Ferry Institute, zeigen, dass Selbstbewusstsein (die Fähigkeit sich selbst zu erkennen) eine der wichtigsten Fähigkeiten für Führungskräfte ist.
Hier setzt Coaching an: Es stärkt das Bewusstsein über das “Selbst” und fördert Ausrichtung, Lernbereitschaft, Klarheit und Anpassungsfähigkeit. So unterstützt die Kompetenz Coaching-Gespräche zu führen dabei, zu einer generativen Führungskraft zu werden.
Ein Schlüsselwerk in diesem Bereich ist “Die fünfte Disziplin” von Peter Senge aus dem Jahr 1990. Senge machte das Konzept des systemischen Denkens einem breiten Publikum zugänglich.
Ein revolutionäres Lernmodell, auf dem Senge in seinem Buch aufbaut, ist das Double-Loop-Learning Modell von Chris Argyris und Donald Schön. Die beiden Harvard, Yale und MIT Professoren zeigen, wie Organisationen, Teams und Personen sich nicht nur durch Korrektur von Fehlern (Single-Loop-Learning) weiterentwickeln, sondern durch Neubewertung grundlegender Annahmen (Double-Loop-Learning).
Double-Loop-Learning fordert Führungskräfte, Teams und Organisationen heraus, tiefere Fragen zu stellen und grundsätzliche Annahmen zu hinterfragen. Es geht darum, nicht nur oberflächlich Probleme zu lösen, sondern eine Kultur des Lernens und der Innovation zu schaffen – entscheidend für langfristigen Erfolg.
Generative Führung markiert einen Paradigmenwechsel. Sie löst sich von traditionellen hierarchischen Modellen und fördert eine Kultur der Kreativität, Innovation und des kontinuierlichen Lernens. Generative Führungskräfte schaffen Rahmenbedingungen, in denen neue Ideen und Perspektiven entstehen können. Sie sind flexibel und setzen nicht starr auf vorgegebene Pläne.
Generative Führung integriert Coaching-Gespräche und sieht Führung als Beziehung statt als Position. Es geht darum, Ressourcen optimal zu nutzen, die Zusammenhänge des Systems zu erkennen und die Zukunft bewusst zu gestalten.
Der ontologische Ansatz, fügt ein weiteres Puzzlestück hinzu. Er lädt dazu ein, die eigene deutungsgebende Rolle in der Erschaffung der eigenen Realität anzuerkennen, die ohne die Person selbst keine Bedeutung hat. Er geht über den systemischen Ansatz hinaus und hinterfragt die Person, die das System beschreibt, dadurch erschafft und ihm durch die Beschreibung Bedeutung verleiht.
Der ontologische Ansatz wurde in den 1980er Jahren von Denkern wie Humberto Maturana, Fernando Flores und Julio Olalla entwickelt. Der Begriff "Ontologie" stammt aus der Philosophie und bezeichnet die Lehre vom Sein – die Untersuchung dessen, was existiert und wie diese Existenz verstanden werden kann. Im Kontext dieses Ansatzes bedeutet Ontologie ein Bewusstsein dafür, wie wir unsere eigene Realität und unser Selbstverständnis erschaffen und wahrnehmen. Er fordert uns dazu auf, uns der Rolle, die wir in der Gestaltung unserer Realität einnehmen, bewusster zu werden. Diese Grundlagen finden sich in Werken wie Martin Heideggers “Sein und Zeit” (1927) und John Searles “Speech Acts” (1969). Besonders Humberto Maturanas Konzept des Strukturdeterminismus, das er in seinem Aufsatz “Biology of Cognition” (1970) vorstellte, ist zentral: Es beschreibt, wie lebende Systeme strukturell determiniert sind und Reize nur entsprechend ihrer inneren Organisation verarbeiten können. Ein weiteres prägendes Werk ist “Understanding Computers and Cognition: A New Foundation for Design” (1986) von Fernando Flores und Terry Winograd. Neuere Werke wie Lisa Feldman Barretts “How Emotions Are Made: The Secret Life of the Brain” (2017) ergänzen den ontologischen Ansatz durch neurobiologische Erkenntnisse und betonen die Rolle des Gehirns in der Konstruktion unserer Realität.
Der ontologische Ansatz unterstützt die Bewusstwerdung der eigene Rolle in der Erschaffung aller Ergebnisse – sowohl derer, die wir anstreben, als auch derer, die wir vermeiden möchten. Dieser Ansatz schafft die Grundlage für andere und neue Ergebnisse und fördert letztlich unsere persönliche und berufliche Wirksamkeit.
Anstatt zu fragen „Was willst du?“ oder „Warum ist dir das wichtig?“ (welche sich immer wieder um das Ziel oder die dahinterliegende Motivation drehen), führt der ontologische Ansatz zu einem tieferen Bewusstsein der eigenen Rolle in der Erschaffung der Realität und erweitert den Handlungsspielraum nachhaltig.
Fragen wie “Wer bin ich und was habe ich entschieden, was ich sein kann?” können das Spiel neu definieren. Sie erlauben es uns, die Spielregeln zu überdenken und das Spiel selbst neu zu gestalten.
Zum Beispiel: Was, wenn du gleichzeitig in deiner Gesundheit, in der Familie und deiner Karriere gewinnen könntest?
Solche Fragen eröffnen neue Perspektiven. Coaching ist ein Werkzeug, das Führungskräften hilft, innovativ und resilient zu agieren und tiefe Verbundenheit zu fördern. So steigern Führungskräfte nicht nur ihre eigene Wirksamkeit, sondern befähigen auch andere, ihr Potenzial voll auszuschöpfen. Generative Führung mit einem ontologischen Ansatz sind ein Schritt hin zu einer anpassungsfähigen und blühenden Unternehmenskultur.