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Vom Opfersein zur Verantwortung

Verantwortung statt Ausreden – der erste Schritt zu wahrer Führung.

Vor etwa zehn Jahren leitete ich einen Workshop für Führungskräfte. Am Ende des Tages lud ich die Teilnehmenden ein, ihre eigene Beteiligung zu bewerten – sie gaben sich bescheidene drei von zehn Punkten. Diese Selbsteinschätzung spiegelte eine weit verbreitete Herausforderung wider, die der Gallup Engagement Report 2024 ebenso aufzeigt: Lediglich 23 % der Mitarbeitenden sind bei der Arbeit wirklich engagiert, während 62 % nur Dienst nach Vorschrift machen. Weitere 15 % haben innerlich gekündigt. Diese geringe Beteiligung führt zu einem geschätzten Verlust von 8,9 Billionen USD des globalen Bruttoinlandsprodukts. (2024 Gallup Report)

Die Teilnehmenden erkannten das Potenzial für ein stärkeres Engagement, doch ihre Leistung blieb hinter den Möglichkeiten zurück. Während ich über ihre Bewertung nachdachte, ertappte ich mich dabei, Gründe für ihre geringe Beteiligung zu finden – ich schob es auf den heißen Sommertag oder auf die eher kritische und skeptische Haltung unserer deutschen Kultur. Doch diese Rationalisierungen verbargen eine tiefere Wahrheit: Auch ich verfiel der verlockenden, aber letztlich entmachtenden Rolle des Opfers. 

Der Reiz des Opferseins liegt in seiner Einfachheit. Es ist verführerisch, Enttäuschungen und Misserfolge abzulegen und sich vor der Auseinandersetzung mit sich selbst zu drücken. Doch: 

“Du hast entweder Begründungen oder Ergebnisse, aber nie beides.”

Dieser Gedanke fordert uns heraus, die Komfortzone der Ausreden zu verlassen und uns ehrlich zu reflektieren. Wenn Einzelpersonen oder Teams das Narrativ des Opferseins pflegen, behindern sie nicht nur ihre persönliche und berufliche Entwicklung, sondern verlieren auch die Fähigkeit, als wirksame Führungskräfte bedeutsame Ergebnisse zu erzielen. John Maxwell bringt es auf den Punkt: 

“Führung ist Einfluss, nicht mehr und nicht weniger.”

Wenn dieser Einfluss schwindet, wie es sowohl die Selbsteinschätzung der Teilnehmenden als auch der Gallup Report zeigen, ist es an der Zeit, einen neuen Weg einzuschlagen. 

Diese Erkenntnis ist keine Kritik an den Fähigkeiten der Führungskräfte, sondern eine Einladung, die Wirksamkeit der eigenen Führung zu hinterfragen. Verantwortung zu übernehmen und Wachstum zu suchen, eröffnet die Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln, Mentoren zu finden und letztlich neue, vielleicht unerwartete Ergebnisse zu erzielen. 

Der Weg zur Übernahme von Verantwortung ähnelt der Wahl, die Thomas Anderson (Neo) im Film Matrix trifft. Er steht vor der Entscheidung zwischen der blauen Pille, die ihn in die Komfortzone des Bekannten zurückführt, und der roten Pille, die eine herausfordernde, aber befreiende Reise zur Wahrheit verspricht. Einfach, doch nicht leicht. Seine Wahl für Ehrlichkeit markiert den ersten Schritt in Richtung Selbstbestimmung. Seine Transformation und die Herausforderungen, denen er begegnet, verdeutlichen das Wesen der Verantwortung: Es geht nicht darum, Schuld zu tragen, sondern darum, den eigenen Beitrag in der Gestaltung der eigenen Matrix zu erkennen. 

Doch nicht nur in diesem Kultfilm wird dieses Prinzip veranschaulicht. Matrix stellt eine universelle Frage: “Wer bin ich, und was war mein Beitrag zu dieser Situation?” Diese Frage ist ein Aufruf, das Opfersein zugunsten der Verantwortung abzulegen, Ausreden durch Verantwortlichkeit zu ersetzen und die unendlichen Möglichkeiten der generativen Führung zu ergreifen. 

Während wir uns durch die Komplexität unseres Lebens und unserer Karrieren bewegen, sollten wir daran denken, dass persönliches Wachstum mit der Annahme dessen beginnt, was wir sind, und mit der Bereitschaft, die eigenen Handlungen zu hinterfragen. Wir sind keine Opfer unserer Umstände; wir haben sie durch unsere Entscheidungen mitgestaltet. Die Akzeptanz unserer Rolle in der Gestaltung unserer Erfahrungen lehrt uns, Verantwortung zu übernehmen. Ungeklärte innere Konflikte verschwinden nicht durch Ignoranz – sie manifestieren sich oft in immer wiederkehrenden Situationen.

“Was ich widerstehe, bleibt bestehen.”

Indem wir uns diesen Konflikten stellen, wachsen wir und gewinnen an Wirksamkeit. Wie Carl R. Rogers treffend formulierte: “Das wundersame Paradox ist, dass ich mich erst ändern kann, wenn ich mich so akzeptiere, wie ich bin.” 

Zusammengefasst ist der Übergang von einer Haltung des Opferseins zu einer Haltung der Verantwortung eine tiefgreifende, persönliche Reise. Sie erfordert Offenheit, Ehrlichkeit und Mut. Verantwortung zu übernehmen, ist einfach, doch nicht leicht. Der Weg, wie wir ihn bei Neo sehen, kann mühsam sein, doch die Belohnungen sind unermesslich. Indem wir Verantwortung für unser Leben und unseren Einfluss auf andere übernehmen, erschließen wir unser Potenzial, zu inspirieren, zu führen und eine neue Zukunft zu gestalten. 

In den Worten eines meiner Lehrer, Chalmers Brothers: 

„Ich lade dich ein, ja, ich fordere dich heraus, ein aufmerksamerer Beobachter deiner selbst und deiner Sprache zu werden, dir deiner Rolle als Autor deines Lebens bewusst zu sein und in dem Bewusstsein deiner Wirksamkeit zu leben.“ 

Gehen wir diese Reise mit offenem Herzen und offenem Geist an, bereit, Herausforderungen in Chancen für Lernen und Wachstum zu verwandeln.

Sei der Unterschied, den dein Umfeld so dringend braucht.

Veröffentlicht von Sebastian Schick